Das Auto wird immer mehr zum Handy auf Rädern, heißt es. Zumindest gilt das für die Software.
Wer am Stammtisch ein Auto charakterisieren wollte, sprach bislang über Zylinder, Hubraum und schnittige Karosserielinien. Künftig werden aber weniger die physischen Eigenschaften das Fahrzeug definieren als vielmehr die Software. Wie beim Smartphone soll sich diese von Update zu Update ständig weiterentwickeln: Das Auto modernisiert sich somit in der Garage ständig selbst. Die Branche verspricht sich vom sogenannten „Software Defined Vehicle“ (SDV), dem durch Software bestimmten Fahrzeug, neue Erlösmodelle. Und auch der Kunde soll profitieren.
Software wird dominanter
Beim SDV sind die wesentlichen Funktionen und Eigenschaften durch Softwaresteuerung definiert. Im Gegensatz zu herkömmlichen Fahrzeugen, die stark von physischen Komponenten wie Motor, Getriebe und Lenkung abhängen, basiert ein SDV auf einem Fundament von Algorithmen und IT-Plattformen. Die Software bestimmt das Fahrverhalten, die Sicherheitsfunktionen, das Infotainment-System und künftig sogar das Erscheinungsbild des Fahrzeugs. Die Spanne denkbarer Möglichkeiten reicht da von änderbaren Scheinwerfer-Grafiken bis hin zu digital wechselbaren Karosseriefarben.
Am nächsten an einem echten SDV sind aktuell die Modelle von Tesla. Bei den kalifornischen E-Autos lassen sich schon heute Assistenzsysteme wie der notorische Auto-Pilot per Software-Update freischalten. Und sogar die nutzbare Batterie-Kapazität lässt sich in einigen Fällen per Funk ändern – immer gegen Bezahlung natürlich. Auch Hersteller wie Mercedes, Porsche und Audi schalten bestimmte Funktionen gegen Gebühr noch nach dem Fahrzeugkauf frei – von der Sitzheizung bis zum Matrixlicht. Voraussetzung ist jeweils, dass die nötige Hardware schon ab Werk an Bord ist.
Auf Bedürfnisse abstimmbar
Für den Kunden soll das mehr Flexibilität bei der Anpassung des Fahrzeugs an die eigenen Bedürfnisse bringen, wie Joachim Mathes, CTO für Comfort & Driving Assistance beim Zulieferer Valeo erläutert: „Wenn Sie in der Stadt leben, ist die Standardbeleuchtung Ihres Fahrzeugs vielleicht ausreichend, aber wenn Sie aufs Land ziehen und oft im Dunkeln auf Landstraßen fahren, möchten Sie vielleicht Ihre Basisbeleuchtung aufrüsten können. Dank dieser Möglichkeit, das Fahrzeug auf die Bedürfnisse des Besitzers abzustimmen, bietet auch der Gebrauchtwagenmarkt neue Chancen, da der Käufer nicht durch die Auswahl des Vorbesitzers eingeschränkt ist.“
Ein weiterer möglicher Vorteil für Kunden: Das Auto bleibt über die gesamte Lebenszeit – also mindestens zwölf, im Extremfall auch 40 Jahre lang – modern und aktuell, zumindest was die Software angeht. „Insbesondere Assistenzsysteme können vom Übergang zum SDV profitieren und kontinuierlich verbessert werden. Wenn Fahrzeuge mit entsprechender Hardware wie Kameras, Radar- oder Lidarsensoren ausgestattet sind und über Rechenleistung und Speicher verfügen, könnte es in zwei oder drei Jahren Updates geben, die hier neue Funktionen ermöglichen und freischalten“, so Mathes. Volvo etwa rüstet sein E-SUV EX90 bereits mit Sensorik für das autonome Fahren aus, bevor Software und juristische Rahmenbedingungen überhaupt fertig beziehungsweise bekannt sind.
Länger und flexibler nutzen
Das Geschäftsmodell der Hersteller verändert sich dadurch grundsätzlich: Wachstum erfolgt nicht mehr über den einmaligen Verkauf eines Neuwagens, sondern über den Verkauf von Software über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Die Industrie reagiert damit einerseits auf die verhaltenen globalen Langfrist-Wachstumsprognosen; viele Experten sehen den sogenannten „Peak-Auto“ schon passiert. Die Zahl der weltweit genutzten Fahrzeuge wird demnach künftig eher sinken als steigen. Auch, weil ein weiteres Wachstum der Flottengröße und Auto-Masse nicht nachhaltig wäre. Stattdessen sollen SDVs länger und flexibler genutzt werden können als die heutigen Autos.
Die längere Nutzung resultiert einerseits aus der leicht aktualisierbaren Software des SDVs, andererseits aus einer langfristigen Standardisierung der Hardware, die für eine leichtere Reparierbarkeit sorgt. Noch ist das ein weiter Weg, doch der Umbau des Autos unterm Blech hat schon begonnen. Verfügen die meisten Neuwagen heute noch über eine komplexe, weit über das gesamte Fahrzeug verteilte Elektronik-Architektur, setzen erste Hersteller bereits auf einen zentralisierten Aufbau mit immer weniger, dafür leistungsfähigeren Einzel-Rechnern.
Standardisierung notwendig
Gegen Ende des Jahrzehnts dürfte in neuen Pkw-Typen in der Regel nur noch ein zentraler Hochleistungsrechner die anspruchsvollen Aufgaben erledigen und die komplette Sensoren- und Aktuatoren-Infrastruktur im Auto steuern. Die muss dafür stark standardisiert und modellübergreifend nutzbar sein. Das macht das SDV am Ende auch für die Hersteller finanziell interessant. Denn die viele nötige Hardware ist laut de Bono durchaus ein Kostentreiber.
„Die Automobilindustrie ist eine Skalenindustrie. Je mehr Technologien in verschiedenen Fahrzeugen eingesetzt werden, desto billiger werden sie“, so der Valeo-Ingenieur. Für die Branche bedeutet das, dass sie sich zusammensetzen und zahlreiche Detailfragen klären muss – von Normen über Sicherheits-Aspekten bis hin zur Lifecycle-Organisation. Denn die Autos müssen per Update vielleicht über Jahrzehnte hin aktuell gehalten werden. Holger Holzer/SP-X
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