In Sachen E-Mobilität kommt auffällig wenig von japanischen Herstellern. Doch sollte man Toyota und Co. deswegen abschreiben?
Alle reden von China, vielleicht Korea oder auch den Chancen deutscher Hersteller auf dem Automarkt von morgen. Doch was ist mit den japanischen Autobauern? Kurz vor der Eröffnung der Automesse in Tokio vergeht kein Tag, an dem nicht eine neue Studie angekündigt wird. Toyota, Nissan, Honda – die großen drei unter den japanischen Herstellern drehen mächtig auf vor ihrem Heimspiel, und selbst vergleichsweise kleine Marken wie Mazda, Suzuki oder Subaru machen mit. Warum?
Klar ist: Die japanische Autoindustrie hat einen gewaltigen Nachholbedarf. Und das liegt nicht allein daran, dass ihnen die Pandemie die letzten Motorshows gehörig verhagelt hat und sie sich jetzt zum ersten Mal wieder vor großem Publikum präsentieren können. Die japanische PS-Branche hat – so scheint es zumindest in der Außendarstellung – gewaltig an Fahrt verloren. Waren Toyota & Co noch vor 20, 30 Jahren die Innovationsführer und die treibende Kraft bei der Modernisierung der Motorindustrie, haben ihnen erst die Koreaner den Rang angelaufen – und jetzt stehlen ihnen die Chinesen die Schau.
Gehörig an Fahrt verloren
„Die Japaner sind von Vorreitern zu Nachzüglern geworden,“ fasst Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel von der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach die Stimmungslage zusammen und nennt dafür vor allem einen Grund: „In Tokio haben sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt und zu spät auf den Trend zum Elektroauto gesetzt.“ Stattdessen hätten sie am Hybridantrieb festgehalten, ihr Heil in der Brennstoffzelle gesucht und so Raum gelassen für die elektrischen Erfolge von Hyundai und Kia sowie den Aufstieg der Chinesen.
Dieses Bild bestätigt auch Jürgen Maurer, Analyst bei der Plattform German Trade & Invest: „Japans Automobilindustrie steht angesichts der sich verändernden politischen Vorgaben unter Anpassungsdruck. Der Druck kommt insbesondere von den wichtigsten weltweiten Absatzmärkten wie den USA, China und Europa, deren Politik die schnelle Umstellung auf Antriebsvarianten der nächsten Generation fordert.“
Ist Toyota schuld?
Einen Schuldigen für das Formtief hat Bratzel auch schon ausgemacht: Toyota. Zwar gibt es in Japan kein Unternehmen, das mehr in Forschung und Entwicklung investiert. Doch wenn es um den weltweiten Vergleich der Innovationskraft gehe, landeten die Japaner nur noch im Mittelfeld, zitiert Bratzel aus seinen Studien. Der Riese habe aufs falsche Pferd gesetzt und damit alle anderen auf einen Irrweg geschickt: „Die kleineren Hersteller laufen dem Marktführer meist hinterher und leisten sich nur selten einen eigenen Kurs,“ sagt Bratzel. Aber die Japaner deshalb abzuschreiben, hält Arthur Kipferler vom Strategieberater Berylls in München für voreilig – und für falsch.
Wenn Kipferler von „den Japanern“ spricht, dann meint er vor allem Toyota und Honda, und die rühmt er als Realisten. Wo Konkurrenten wie Tesla, die Politik oder die Gesellschaft auch nach Gesinnung oder Gefühl entscheiden, fuße deren Strategie auf dem sorgfältigen Studium nüchterner Sachverhalte. So hätten sie gegen den Trend entschieden, dass batterieelektrische Autos auf Basis der heute verfügbaren Technologien nicht die beste Lösung sind. Stattdessen hätten sie ihre eigenen Alternativen entwickelt: Hybride für jetzt und die Brennstoffzelle für später. „Dabei haben sie Rechnung ohne die Regierungen gemacht, die dem batterieelektrischen Auto mit entsprechenden Regularien und wirksamen Förderungen zumindest vorläufig den Weg zum Sieg geebnet haben,“ sagt Kipferler und erklärt damit den vermeintlich schlechten Stand der Japaner.
„Ich sehe durchaus Erfolge“
Doch empfiehlt der Experte einen zweiten, gründlicheren Blick und kommt dabei zu einem anderen Ergebnis – selbst wenn man natürlich nicht alle Japaner über einen Kamm scheren könne. Ja, Nissan sei mit Gewalt aus der Allianz mit Renault ausgebrochen und wirke seitdem etwas ziellos. Doch Honda sei schon vor der elektrischen Revolution sehr auf die Nischen bedacht gewesen und habe in unterschiedlichen Regionen und Segmenten ein sehr unterschiedliches Engagement gezeigt. Mit Recht sagt der Experte: „Denn dort, wo Honda aktiv ist, sehe ich durchaus Erfolge.“
Vor allem aber rückt er das Bild von Toyota zurecht: Die Japaner seien nach wie vor der größte Hersteller der Welt, seien in Europa auf dem höchsten Marktanteilsniveau der Firmengeschichte und in den USA nicht so weit davon entfernt. Und das alles bislang fast vollständig ohne BEV. Dazu komme der Heimatmarkt als schier uneinnehmbare Festung und ein vergleichsweise bescheidenes Engagement in China, das die Abhängigkeiten viel kleiner hält als etwa bei den deutschen Herstellern. „Ganz so falsch kann der Kurs also nicht sein“, sagt Kipferler und ist mit dieser Meinung nicht allein: Auch Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer lobt Toyota für seine schiere Größe und die damit unerreichten Skaleneffekte. Das war beim Hybridantrieb so und das könnte – wenn auch mit Verspätung – beim Akku-Auto genau so kommen, ist der Experte überzeugt.
Toyota setzt auf die Skaleneffekte
Für Berylls-Partner Kipferler ist das Grund genug, das Bild der japanischen Autoindustrie passend zum Logo der Mobility Show in freundlicheren Farben zu malen: „Man kann guten Gewissens behaupten, Toyota und Honda machen das gut, was sie bereits in der Vergangenheit gut gemacht haben: Sie lassen andere Firmen voranstürmen und das Lehrgeld zahlen und steigen erst dann ein, wenn die Technologien oder Segmente reif dafür sind.“ Dann allerdings kommen sie gewaltig, weil sie ihre Kernkompetenzen und ihre Skaleneffekte voll ausspielen können. Nicht umsonst untermauern nahezu alle japanischen Hersteller im Vorfeld der Motorshow gerade ihr wenn auch spätes Bekenntnis zur E-Mobilität, investieren Milliardensummen und versprechen ganze Flotten neuer E-Modelle.
Wer hat am Ende recht?
Wem das zu komplex und zu kompliziert ist, für den hat Kipferler auch eine einfache Zusammenfassung: Ist es tatsächlich nur das BEV, vielleicht doch die Brennstoffzelle, der Wasserstoffverbrenner oder eine Mischung aus alledem? „Wer tatsächlich am Ende recht behalten wird, wissen wir noch nicht und werden es auch vor 2040 nicht erfahren.“ Aber so viel ist jetzt schon sicher: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Benjamin Bessinger/SP-X/Titelfoto: Nissan
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