Ladegeschwindigkeiten bis zu 525 kW werden in manchen Stromern bereits realisiert. Doch machen solche Ladeleistungen überhaupt Sinn?
Der Goldstandard der E-Mobilität ist neben der Akkugröße (und damit der Reichweite) die Ladegeschwindigkeit. Viele Menschen, die sich mit dem Umstieg beschäftigen, befürchten langweilige und lange Pausen am Schnelllader, die sie Zeit kosten, die woanders besser angelegt wäre. Die Reise als Wettrennen gegen die Zeit.
Entsprechend übertrumpfen sich die Autohersteller, vor allem jene aus Fernost, mit immer neuen Höchstleistungen beim DC-Laden. Galten bis vor kurzem noch Werte jenseits von 250 kW als rekordverdächtig, kommen selbst auf große Stückzahlen ausgelegte Massenmodelle wie Mercedes CLA oder der neue GLC auf zum Teil deutlich mehr als 300 kW und der neue BMW iX3 kann sogar mit 400 kW laden. Unter den Europäern sind die Süddeutschen damit ganz vorne, aber in China lachen sie über sowas nur. Die Geely-Tochter Zeekr verkauft ihre Autos bereits mit bis zu 480 KW, und XPeng hat mit dem Facelift für G6 und G9 auf 525 KW erhöht.
Und damit ist noch nicht Schluss. Batteriechampion BYD hat am Rande der IAA in München zum ersten Mal in Europa das Megawatt-Laden demonstriert. Während die Chinesen erst mal nur Show gemacht haben, hat Mercedes bei den Rekordfahrten des AMG GT XX in Nardo auch deshalb die Welt in acht Tagen umrunden können, weil die Boxemstopps des elektrischen Überfliegers dank einer neuen Ladesäule mit ebenfalls einem Megawatt Leistung verkürzt wurde. Und damit davon auch die Kunden was haben, soll diese Säule schon im nächsten Jahr zusammen mit dem Nachfolger des GT Viertürers in Serie gehen und an den Ladeparks des Herstellers installiert werden.
BYD demonstrierte das Megawattladen
Denn genau darin liegt ein Problem dieses Wettrüstens. Schon im Auto ist es schwierig, aufwändig und vor allem teuer, solche Ladeleistungen zu erreichen, weil das den Temperaturhaushalt der Akkus durcheinanderbringt, und ihre Haltbarkeit gefährden kann. Aber selbst die schnellste Ladetechnik bringt nichts, wenn die Säule nicht genügend Strom liefern kann. Und da ist in Europa zumeist noch bei 400 kW Schluss, die obendrein nur unter optimalen Bedingungen erreicht werden.

Macht das noch Sinn? Wann wird die Infrastruktur so ausgetauscht sein, dass flächendeckend Megawattlader oder 600-kW-Säulen stehen? Und ein genauerer Blick auf die Rekordzahlen zeigt: Selbst bei BYD könnten solche Spitzenlasten nur über einen kurzen Zeitraum gehalten werden. Und zum anderen müsse klar sein, dass Megawattladen (MCS) für Pkw auf lange Sicht nur einem kleinen Kreis nutzen werde. Die Ladesäulen dafür seinen signifikant teurer und würden mangels Auslastung wohl kaum wirtschaftlich zu betreiben sein. Ebenso sei die Technologie an Bord kostspielig und würde die Fahrzeugpreise, die momentan ohnehin schon signifikant gestiegen sind, nochmals in die Höhe treiben. „Und zu allem Übel gibt auch das Netz solche Leistungen nur bedingt her“, sagt Andreas Radics, Partner beim Münchner Strategieberater Berylls by AlixPartners.
„Die Ladesäulen wären signifikant teurer“
Stattdessen hält er eine Ladeleistung zwischen 300 bis 600 kW für erstrebenswert und rät anstelle hoher Peaks lieber zu breiten Plateaus: „Wenn solche Werte über eine möglichst lange Zeit anliegen, könnte eine signifikante Optimierung der Ladezeiten erreicht werden, die die Dauer des Ladevorgangs in den Bereich der Dauer des Tankvorgangs rücken.“ Alles darüber hinaus diene vor allem dem Prestige der einzelnen Player, habe aber wenig ernsthaften Nutzen: „Ob man immer das technisch Mögliche auch in der Fläche benötigt oder wirtschaftlich sinnvoll ausrollen kann, ist fraglich,“ sagt Radics und verweist auf den Motorsport: „Es hat ja auch nie jemand gefordert, die Tankanlagen der Formel1 für Serienautos zu übernehmen, obwohl diese mit einem Durchlauf von zwölf Litern pro Sekunde signifikant schneller sind als die konventionellen Tankstellen, wo bestenfalls 0,5 bis 1 Liter pro Sekunde Sprit fließen.“
E-Fluencer und Elektroauto-Spezialist Stefan Moeller vom Fahrzeugvermieter und -vermittler Nextmove aus Leipzig sieht das aktuelle Wettrüsten ebenfalls eher kritisch. Natürlich hat auch er nichts gegen Fortschritt, aber nicht um des Fortschritts willen. Sondern er sieht deutlich diesseits des Megawattladens eine vernünftige Grenze erreicht. „Klar, für Luxusmodelle und Supersportwagen mag das ein prestigeträchtiger Wert sein, für den die Kunden bereitwillig tief in die Tasche greifen. Doch bei Volumenmodellen lohnt sich dieser Aufwand kaum mehr“, sagt Moeller und verweist auf die immensen Kosten, die man dafür von der besseren Akkukühlung bis zur stärkeren Lade- und Leistungselektronik ins Auto stecken müsse. Vom größeren Gewicht und dem größeren Platzbedarf ganz zu schweigen.
„Der Zeitgewinn wäre eher gering“
„Und das alles, um dann doch wieder nur an viel zu leistungsschwachen Ladesäulen zu stehen?“ fragt Moeller ketzerisch. Zwar hofft der Experte darauf, dass sich mit der Leistung der Fahrzeuge auch die Infrastruktur weiterentwickelt, hält aber trotzdem nichts von teuren Ringen um solche Spitzenwerte. „Denn am Ende mag man zwar zwei oder vielleicht sogar fünf Minuten der reinen Ladezeit sparen, wenn kurz mal Spitzen von 1000 kW erreicht werden. Aber gerechnet auf den gesamten Ladevorgang ist der Gewinn eher gering.“ Schon eine Ampelphase mehr oder weniger auf dem Weg von und zur Ladesäule könne den Vorteil zunichte machen und die zwei, drei Minuten, um den Ladevorgang zu starten und zu beenden, kämen da wie dort dazu. „Was auf den ersten Blick aussieht, wie ein Zeitgewinn von im besten Fall vielleicht 20 Prozent, sind bei einer gesamtheitlichen Betrachtung dann vielleicht noch 5 Prozent und führen den riesigen Aufwand ad absurdum,“ sagt Moeller. „Da ist das Geld für die Aufrüstung der Autos und die Ertüchtigung der Infrastruktur an anderer Stelle sehr viel besser investiert. hjm/SP-X/Titelfoto: Mercedes-Benz
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