Mit der Dragster 700 stellt Italjet die Motorradwelt vor Rätsel: Ist das ein Motorrad oder ein Roller? Wir sind Probe gefahren.
Für die Premiere ihres einzigartigen Dragster 700 Twin hätte sich die italienische Edelschmiede Italjet keinen besseren Ort aussuchen können: Auf dem legendären Autodromo Enzo e Dino Ferrari donnert dieses Technik-Kleinod wie sonst nur Formel-Autos über die Start-Ziel-Gerade und untermauert damit den Premiumanspruch, den der radikale Technik-Trimm und der exklusive Einführungspreis von 13.990 Euro vorgeben.
Tatsächlich setzt der mit minimalistischen, kantigen Verkleidungsrudimenten versehene Italjet Dragster 700 Twin seine hochwertigen Komponenten bestens ins Bild. Klar erkennbar sorgt der für die exklusive italienische Marke so typische Gitterrohrrahmen für Halt, vorn von einer mächtigen Upside-Down-Gabel von Marzocchi, am Heck von einem linksseitigen goldfarbenen Öhlins-Federbein assistiert. Zwei dosenartige Akrapovič-Endschalldämpfer lugen unter dem Heck mit einem markanten LED-Doppel hervor und sind verantwortlich für den Donner, den der 698-Kubik-Reihenzweizylinder entfacht.

Dessen knapp 70 PS katapultieren den Dragster an die Spitze des Rollerkosmos und werfen die Frage auf: Was ist dieses Vehikel überhaupt – ein unartiger Roller oder nicht minder Aufsehen erregendes Motorrad? Solche theoretischen Gedankenspiele sind mit dem Platz nehmen passé, denn statt Dolce Vita herrscht eine sehr ungewohnte Position auf dem Sportmobil. Aufrecht hinter der breiten Lenkstange sitzend mit großen Kniewinkeln erinnert der Dragster fast an eine Supermoto, nur der Tank fehlt zwischen den Knien.
Zwischen den Knien fehlt der Tank
Schlüssellos angeworfen, bringen beherzte Gaszupfer das Triebwerk auf Trab – das geht, weil der Twin keine Rollervariomatik besitzt, sondern seine Kraft über ein manuell per Kupplung geschaltetes Sechsganggetriebe ans Hinterrad überträgt – eben wie beim Motorrad. Doch nicht so schnöde wie dort: Highlight der Kraftübertragung ist ein gläserner Kupplungsdeckel, durch den man der Kraftübertragung bei der Arbeit zusehen kann.
Natürlich verfügt ein so modernes Fahrzeug über eine Menge Elektronik, so lassen sich ABS und Traktionskontrolle abschalten und drei verschiedene Fahrmodi einlegen. All das wird über die Bedienorgane am linken Lenkerende gesteuert und im farbigen 5-Zoll-TFT visualisiert.

Mit Macht zieht der Italjet los und lässt seine Muskeln von 68 PS und 70 Newtonmeter Drehmoment spielen, seine sechs Gänge lassen sich prima sortieren. Der flüssigkeitsgekühlte Reihenzweizylinder stammt von QJ Motor in China, wo der Italjet Dragster auch montiert wird. Immer wieder mahnt ein grellrot aufleuchtendes Display zum Gangwechsel, und des öfteren gilt es, mächtig in die Eisen zu langen, um das Tempo runter zu kriegen. Den Griff in die Tasten belohnen die Brembo-Radialzangen analog zur Optik mit brachialer Verzögerung und exakter Dosierbarkeit.
Trotz der heftigen Verzögerung bleibt der Dragster ungemein stabil, wie er überhaupt bei jedem Tempo und in jeder Schräglage einen unbeirrbaren Eindruck macht. Die ungewohnte Ergonomie verlangt zwar in wechselnden Schräglagen etwas Nachdruck, dafür lenken die Pirelli-Pneus präzise und neutral durch die Schikanen – auch wenn die Dimension von 15 Zoll vorn wie hinten ein für Motorradfahrer ungewohntes Gefühl mit sich bringt.
Das Heck lässt sich verstellen
Abgestellt, wird es neutralen Betrachtern bei der intensiven Begutachtung des exklusiven Technik-Kleinods nicht langweilig: Neben den bereits erwähnten Goodies fallen Kohlefaser-Winglets wie in der MotoGP ins Auge, aber auch Schutzbügel für die einstellbaren Brems- und Kupplungshebel sowie Kameras in Front und Heck. Deren Bilder lassen sich wie der Reifendruck im bluetoothfähigen Instrument anzeigen. Fahrwerks-Clou ist eine Heckhöhenverstellung, bei der eine Schubstange mit Gewinde den Charakter variiert: Angehoben steigert das die Agilität, abgesenkt die Stabilität des Dragster.

Bereits ausverkauft sind die Exemplare der Limited Edition im Gresini-Outfit des gleichnamigen Moto2-Rennteams; die ab Januar erhältliche Premium Edition kann für 13.990 Euro über die Italjet-Webseite reserviert werden. Ob dieses Vehikel nun eher Roller oder Motorrad ist – egal, nach dem Dragster 700 Twin drehen sich alle um. Thilo Kozik/SP-X
Italjet Dragster 700 Twin – Technische Daten:
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, 698 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, dohc, 51 kW/68 PS bei 8.500 U/min., 70 Nm bei 6.000 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kette.
Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen; USD-Telegabel ø 5 cm vorne, Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung einstellbar, 11 cm Federweg; Aluminium-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung einstellbar, 12 cm Federweg; Leichtmetall-Gussräder; Reifen Pirelli Diablo Scooter 120/70 R15 (vorne) und 160/60 R 15 (hinten). 27 cm Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorne, 26 cm Einscheibenbremse mit Einkolben-Schwimmsattel hinten.
Assistenzsysteme: drei Fahrmodi, ABS (hinten abschaltbar), Traktionskontrolle (abschaltbar), Quickshifter.
Maße und Gewichte: Radstand 1,553 m, Sitzhöhe 81,5 cm, Gewicht trocken 190 kg, zul. Gesamtgewicht 390 kg; Tankinhalt 16 Liter.
Fahrleistungen (Werksangaben): Höchstgeschwindigkeit 190 km/h. Standgeräusch 90 dBA, Normverbrauch lt. WMTC-Norm (EU 5+) 2,7 l/100 km.
Preis: ab 13.990 Euro inkl. Nebenkosten


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