Verkehrswende

Verkehrswende: Bleibt sie aus wird es teuer

Verkehrswende: Der Ausbau der E-Mobilität ist nach Einschätzung vieler Experten alternativlos. Bleibt er aus, wird es wohl (sehr) teuer.

Wenn man sich die Kommentare zur Elektromobilität in den (un-)sozialen Netzwerken (allen voran Facebook) anschaut, dann beschleicht einen der Verdacht, dass diese Republik noch weit von einer Verkehrswende entfernt ist. Die Häme für die sinkenden Zulassungszahlen von Elektroautos dieser Tage ist groß, und jene sehen sich bestätigt, die von dem Wandel hin zu elektrischem Pkw-Verkehr sowieso nicht viel halten.

Hinzu kommen die Mineralöl-Lobbys, die Morgenluft wittern und für eine Aufweichung des von der EU für 2035 geplanten Verbots von Verbrennungsmotoren eintreten. Mit dem Wechsel auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden bei VW von Herbert Diess auf Oliver Blume hat die Elektrifizierung unter den deutschen Autobauern zudem einen wichtigen Fürsprecher verloren.

Doch die Störfeuer gegen eine Verkehrswendepolitik könnten Deutschland teuer zu stehen kommen, wie eine im Mai veröffentlichte Studie der Denkfabrik „Agora Verkehrswende“ zeigt. Zudem verdichten sich die Anzeichen, dass der ins Stocken geratene Hochlauf der E-Mobilität dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden und Potenziale für eine schnelle Antriebs- und Energiewende ungenutzt bleiben könnten.

Verkehrswende
Ist die Verkehrswende gescheitert? Wenn ja, dürfte es teuer werden – für alle. Foto: SP-X

Doch betrachten wir die Situation, in der sich Deutschlands Verkehrssektor befindet, einmal neutral. Die Diskussion um eine Verkehrswende ist nicht neu. Zunächst wurde sie als Gegenentwurf zur „Autogesellschaft“ verstanden. In den 70er und 80er Jahren standen die Verbesserung der Lebensqualität in den Städten, die Vermeidung von Staus sowie die Reduzierung von Verkehrstoten und Luftverschmutzung im Vordergrund. Seit einigen Jahren rückt jedoch zunehmend der Klimaschutz als zentrales Ziel der Verkehrswende in den Vordergrund. Speziell hier besteht demnach dringender Handlungsbedarf, etwa um die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes zu erreichen. Das sieht unter anderem eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 und Klimaneutralität bis 2045 vor.

Nur 11 Prozent Beitrag seitens des Verkehrs

Während es in allen für die Treibhausgasemissionen relevanten Sektoren seit 1990 gelungen ist, sich diesen Zielen deutlich anzunähern, hat der Verkehr in den vergangenen drei Jahrzehnten lediglich eine Reduktion von rund 11 Prozent erreicht. Dass der Verkehrssektor angesichts dieser Zahlen seine mittel- bis langfristigen Klimaziele verfehlen wird, gilt mittlerweile als ausgemacht. Dabei geht es um einen nicht unerheblichen Anteil an den Gesamtemissionen, die für den Klimawandel verantwortlich sind: Laut Umweltbundesamt war der Verkehr im vergangenen Jahr für 22 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich.

Es herrscht also eine gewisse Dringlichkeit, endlich ins Handeln zu kommen. Und da sind wir wieder bei der erwähnten Studie „Verkehrswende als Mehrwert“, die von der Denkfabrik „Agora Verkehrswende“ herausgegeben und vom Wirtschaftsinstitut Prognos erarbeitet wurde. Sie wagt einen Blick in die Zukunft der Verkehrswende in Deutschland in drei Szenarien, die von unterschiedlichen Investitionspolitiken für die verschiedenen Verkehrssäulen wie Schiene, ÖPNV oder Pkw-Individualverkehr ausgehen.

Das Referenzszenario entspricht dem „Weiter so wie bisher“. Hier gehen die Autoren von volkswirtschaftlichen Gesamtkosten unserer Mobilität in Höhe von 9,7 Billionen Euro bis 2045 und einer Verfehlung der Klimaziele aus. Würde die Politik hingegen ab 2025 auf eine sofortige Verkehrswende und die zuvor definierten Ziele wie 15 Millionen Elektroautos bis 2030 und Klimaneutralität des Verkehrs bis 2045 hinarbeiten, wären die Kosten um 60 Milliarden Euro niedriger. Diese Variante wird als „Wende 2025“ bezeichnet. Das Szenario „Wende 2030“, das ebenfalls die Klimaneutralität bis 2045 vorsieht, dann aber erst ab 2030 rigoros umsteuert und sogar Stilllegungsprogramme für Verbrenner-Pkw erfordert, würde dagegen fast 400 Milliarden Euro Mehrkosten gegenüber dem Referenzszenario und fast 500 Milliarden Euro gegenüber dem Szenario Wende 25 verursachen.

Während das Referenzszenario von einer weiteren Zunahme des motorisierten Individualverkehrs bis 2045 ausgeht, berücksichtigen die Wendeszenarien eine Mobilitätswende mit einer deutlich stärkeren Förderung von Bahn, ÖPNV und Fahrradverkehr. Dabei soll das gleiche Mobilitätsniveau wie im Referenzszenario erhalten bleiben. Daher ist in den Wende-Szenarien mit deutlichen Mehrkosten bei Personal und Infrastruktur zu rechnen. Einsparpotenziale ergeben sich hingegen bei den Klimaschäden, der Wartung der Fahrzeugflotte und im Wende-25-Szenario auch bei den Investitionen in Fahrzeuge. Letztere wären allerdings im Wende-30-Szenario unter anderem wegen der Notwendigkeit von Abwrackprämien am höchsten und lägen fast 400 Milliarden Euro über dem Referenzszenario.

Die Wende 2025 wäre der günstigste Weg

Der Studie zu Folge wäre eine kurzfristig mit Nachdruck vorangetriebene Elektrowende im Automobilbereich also mittel- und langfristig in jedem Fall der günstigste Weg. Die Autoren der Studie sind sich sicher: Bei zügigem Handeln (Wende 25) könnte der Verkehr bis 2045 ohne volkswirtschaftliche Mehrkosten und bei vollem Mobilitätserhalt klimaneutral werden. Nebenbei ließen sich auf dem Weg zu diesem Ziel 590 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

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Millionen E-Autos brauchen eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur. Foto: Dekra

Was die Autoren der Studie nicht thematisieren, ist der mögliche Beitrag, den Elektroautos auch zur Energiewende leisten könnten. Wenn Deutschland möglichst konsequent auf erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenenergie umsteigen will, braucht es Möglichkeiten, den bei Sonne und Wind im Überfluss produzierten Strom zwischenzuspeichern und bei Bedarf abrufbar zu machen. Elektroautos, vor allem wenn sie millionenfach an vernetzten Wallboxen in Einfamilienhäusern oder Tiefgaragen großer Mietshäuser hängen, könnten diese Aufgabe übernehmen und damit zudem zur Netzstabilität beitragen.

Millionen E-Autos brauchen allerdings eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur, die zeitnah weiter intensiv ausgebaut werden muss, wie die von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur (NLL) kürzlich veröffentlichte Studie „Ladeinfrastruktur nach 2025/2030: Szenarien für den Markthochlauf“ verdeutlicht. Diese sieht eine große Lücke zwischen aktuell installierter Ladeleistung und einem für 2030 identifizierten Bedarf. Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), fordert deshalb eine Versechsfachung der derzeit installierten Ladeleistung in wenigen Jahren, „um dem in der Studie prognostizierten Bedarf gerecht zu werden“. Für Müller gilt die Ladeinfrastruktur als „wesentlicher Schlüsselfaktor, um die Menschen für den Umstieg auf die Elektromobilität zu begeistern“.

Svolt wendete sich schon ab, ACC überlegt

Unisono fordern Verbände und Industrie langfristig verbindliche Zusagen der Politik und stabile Rahmenbedingungen in Deutschland. Unsicherheit kann sich dagegen negativ auf den Wirtschaftsstandort auswirken, wie zwei aktuelle Beispiele zeigen. So hat der chinesische Batterieriese Svolt Ende Mai seine Pläne für eine Zellfertigung in Brandenburg verworfen. Auch ACC, ein deutsch-französisches Konsortium zur Herstellung von Batteriezellen, will seine Pläne zum Bau einer großen Fabrik in Kaiserslautern überdenken. Svolt und ACC begründen ihre Entscheidungen unter anderem mit unsicheren Marktaussichten, da die Nachfrage nach Batterien für Elektroautos angesichts der aktuellen Entwicklungen geringer ausfallen könnte als noch vor einigen Jahren angenommen. Solche betriebswirtschaftlichen Entscheidungen sowie drohende Strafzölle auf billige E-Autos aus China dürften einen Markthochlauf der E-Mobilität weiter erschweren.

Die Agora-Verkehrswende-Studie fußt auf von Prognos erstellten Modellen. Die könnten anders modelliert auch zu anderen Ergebnissen führen. Ähnlich ist das in der Klimaforschung mit den Klimawandelmodellen, die eben auch sehr unterschiedlich ausfallen. Derzeit richten wir unsere Klimapolitik eher an den Modellen aus, die eine noch als noch beherrschbar geltende Erwärmung um 1,5 Grad in Aussicht stellen. Es könnte allerdings, und dafür mehren sich die Anzeichen, auch anders kommen. Und dann wären die in jüngster Zeit sich häufenden Unwetterkatastrophen vielleicht nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommt.

Das Eskalationspotenzial der Klimakrise klein halten, die Verkehrswende groß machen – dafür sollte entschiedener in die E-Mobilität investiert werden, fordern die Autoren der Agora-Studie.

Diejenige, die also heute die Elektrifizierung des Pkw-Verkehrs kritisieren sollten sich im Klaren sein, dass die Mehrkosten für deren Ausbleiben der Steuerzahler zu tragen hat – also auch sie selber. HM/SP-X/Titelfoto: Löck

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