Raumnöte sind mit dem Volvo EX90 kaum zu befürchten. Dafür muss man sich an die digitale Bedienung gewöhnen. Hier nun der Abschlussbericht.
Keine Frage, der Volvo EX90 ist ein großes Auto, ein sehr großes. Doch mit dem Aussterben der Vans sind die Kunden, die ein großes Auto benötigen, ja nicht mit ausgestorben. Wer mehr als zwei oder drei Kinder oder regelmäßig sperriges Ladegut (Hobby etc.) zu befördern hat, der dürfte nach wie vor auf ein „Raumschiff“ zurückgreifen wollen. Und das ist der EX90 ohne Frage.
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Auf 5,04 Meter bringt er bis zu sieben Sitze und/oder Platz für mehr als 2.000 Liter Ladegut unter – und das so souverän, dass auch erwachsene Passagiere in der dritten Reihe nicht unbedingt darben müssen. Schön auch, dass sich die hinteren Sitze sowie die Anhängerkupplung elektrisch betätigen lassen. Platz und Komfort sind die Alleinstellungsmerkmale des großen elektrischen Volvos.

Mit 2,6 Tonnen hält sich die von uns gefahrene Version Single Motor in der Ausstattungsversion Plus gewichtsseitig – relativ gesehen – im Rahmen. Etwas mehr auf die Waage bringt der Twin Motor AWD sowie das Top Modell Performance mit 2,78 Tonnen Leergewicht.
Los geht´s bei 83.700 Euro
Ähnliches gilt für den Preis: Als Single Motor, Fünfsitzer und mit der Basisausstattung Core steht er mit 83.700 Euro (inkl. Mehrwertsteuer) in der Preisliste. Als Siebensitzer in der von uns gefahrenen Ausstattung Plus kostet er 90.500 Euro und besitzt ab Werk bereits viele Nettigkeiten wie Head-up-Display, jede Menge Assistenten oder Panorama-Glasdach. Zudem sind beim Testwagen als Extras etwa Parkpilot (2.400 Euro), elektrische Anhängerkupplung 1.190/1.200 kg Anhängelast), Winterpaket (800) und eine Soundanlage von Bowers & Wilkins (3.050) verbaut, so dass der EX90 auf einen Endpreis von stolzen 101.630 Euro kommt. Der Twin Motor AWD (300 kW) startet bei 91.700 Euro; der Twin Motor Performance (380 kW) kostet mindestens 96.800 Euro.

Zum Thema Leistung sei angemerkt, dass die 205 kW des Single Motor durchaus ausreichen, denn der EX90 ist ein Reiseauto. Der Radstand von knapp 3 Metern lässt ihn stoisch über die Autobahn rollen, das Fahrwerk gibt sich auch ohne Luftfederung souverän. Etwaige Unebenheiten werden klaglos weggebügelt. Zu schnell sollte man auf den Touren aber nicht unterwegs sein, denn der hohe Aufbau fordert umso mehr Energie je schneller man fährt.
Für die von Volvo angegebene Reichweite von 593 Kilometer sorgt auf dem Papier eine 104 kWh (netto 101 kWh) große Batterie – und ein WLTP-Verbrauch von 19,0 kWh je 100 Kilometer. Dass bei diesen Werten keine Reichweite von fast 600 Kilometern möglich ist, lässt sich leicht ausrechnen. Aber selbst bei einem Autobahn-Tempo von 120 km/h schafften wir es nicht unter 24 kWh. Fährt man 130 km/h schnellt der Schnitt auf 27 kWh hoch. Und wer es noch eiliger hat, hat mit der 30-kWh-Marke zu kämpfen. Ergo: Um die 350 (Sommer-)Kilometer Reichweite sind auf der Autobahn realistisch – wenn man es nicht allzu eilig hat.
Volvo EX90: Viele Infos vor und beim Laden
Die Planung der Reise bereitet kein Kopfzerbrechen. Die Zieleingabe sowohl per Sprachassistent als auch per Eintippen auf dem großen zentralen Monitor geht absolut problemlos vonstatten. Das auf Google basierende System rechnet blitzschnell, weist auf Staus auf der Strecke hin und bietet Alternativen. Zudem kann man sich auf die Stauinfos verlassen.

Schön auch: Es nennt den Rest-SoC bei Ankunft an der Ladesäule und wie lange es dauert beziehungsweise wie viel Strom man laden muss, um das Ziel zu erreichen, was das Leben vor allem derjenigen erleichtert, die (noch) unter Reichweitenangst leiden. Laut Datenblatt schafft der EX90 auf 400-Volt-Basis bis zu 250 kW Ladestrom an einer HPC-Säule; an AC-Ladern ermöglicht er das Laden mit 11 kW.
Ja, leider nur 11 kW: Das ist bei einem 101 kWh großen Akku eindeutig zu wenig, vor allem für ein Fahrzeug in dieser Liga. Hier sollte ein 22-kW-Lader zumindest gegen Aufpreis lieferbar sein. Auch finden wir die Ladedose an der Fahrerseite hinten eher unpraktisch angebracht, denn so muss man in der Stadt gegen die Fahrtrichtung parken oder braucht ein langes Ladekabel.
Auf unserer Tour von Frankfurt nach Dresden mussten wir auf jeder Strecke einmal zwischenladen. Beide Male waren wir vor dem Laden mehr als eine Stunde unterwegs und hatten die Ladestation im Navi programmiert – bei Außentemperaturen um die 22 Grad. Optimale Bedingungen also für die Konditionierung des Akkus. Dennoch schaffte der Volvo an 300-kW-Schnellladern beide Male nur eine maximale Ladeleistung von 184 kW.
Maximale Ladeleistung: 184 kW

Dass die Ladung von 10 auf 80 kWh SoC trotzdem in 30 Minuten gelang, lag vor allem an der flachen Ladekurve, die erst bei etwa 75 Prozent leicht einbrach. Alles in allem kann man mit der Performance gut leben; immerhin lag die durchschnittliche Ladeleistung bei 130 kW. Dem EX90 würde aber auch ein 800-Volt-System gut zu Gesicht stehen – im ES90 ist es verbaut.
Wichtig bei einem modernen (und teuren) Auto ist stets die Bedienung. Und auch im EX90 gab es diesbezüglich Licht und Schatten. Wie auch viele andere Hersteller setzt Volvo auf das Digitale. Das heißt: möglichst wenige Schalter und Tasten; clean soll das Bedienfeld sein. Zur Verfügung steht hierfür ein großer, senkrecht stehender Monitor, der im Home-Menü viele Funktionen per Schnellwahl anbietet. Eine Taste weiter – die mit dem Auto-Symbol – erscheinen weitere wichtige Funktionen, wie etwa die Außenspiegeleinstellung oder das Öffnen des Handschuhfachs.
Insbesondere an Letzteres muss man sich arg gewöhnen, denn der schnelle Griff ins Handschuhfach ist nicht mehr möglich. Auch die Nachjustierung der Spiegel lenkt (viel) mehr vom Verkehr ab, wenn dies digital erfolgen muss. Auch umständlich: Für die vier Fenster stehen nur noch zwei Tasten im Türgriff zur Verfügung; per Taste muss man zuerst entweder die vorderen oder die hinteren Fenster aktivieren. Gleiches gilt bei der Sitzverstellung. Der Schalter unten am Sitz regelt nicht nur die Position des Sitzes, sondern kann auf einer zweiten Ebene auch die Lordose verstellen.
Lücken in der Ausstattungsliste

Viel besser gelingt die Lösung beim Thema Euro-Klingeln. Über das Fahrassistenten-Menü lässt sich wählen, ob man bei der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit vier leise Töne hören oder einen leichten Widerstand im Strompedal spüren möchte. Diese Wahl bleibt auch nach dem nächsten Start aktiv, so dass man die Einstellung nicht bei jeder Fahrt erneut vornehmen muss.
Sehr verständig ist der Sprachassistent, der alle Adressangaben während der Testtage verstand und schnell umsetzte, bei weitergehenden Anfragen (Einstellung des Head-up-Displays) aber passen muss. Den Starterknopf hat sich Volvo auch gespart, was wir aber als sehr praktisch empfunden haben: reinsetzen, Bremse treten und los.
Freilich gibt es auch noch etwas zum Nörgeln: So wunderten wir uns, dass eine Sitzbelüftung fehlt, was ja gerade in diesen heißen Sommertagen von Vorteil wäre. Doch die wird, soweit wir das der (ziemlich langen) Preisliste entnehmen konnten, gar nicht angeboten. Ebenso wie das Matrix-Licht. Auch fehlen Haltegriffe über den Türen. Und da ist dann noch die Sache mit dem Schlüssel, die wir im Test-Tagebuch ausführlich beschrieben haben.

Bemerkenswert ist, dass der Bordcomputer die Verbräuche nur in ganzen Zahlen angibt. So lasen wir dort zum Schluss der Testphase ab, dass wir im Schnitt 24 kWh je 100 Kilometer verbraucht hatten. Genauer fiel da schon die Messung beim Laden aus, nach der wir inklusive Ladeverlusten auf einen Schnitt von 26,1 kWh kamen.
Schon der Preis unseres Testwagen von 101.630 Euro lässt erahnen, dass der Betrieb des EX90 (Single Motor) kein sehr günstiges Vergnügen ist. So berechnet der ADAC für den Kilometer Kosten von 1,17 Euro. Die monatlichen Kosten belaufen sich laut dem Automobilclub auf 1.465 Euro.
Fazit: Wer viel Platz braucht und mit der volldigitalen Bedienung gut zurecht kommt, sollte sich den EX90 mal ansehen. Aber wie der ADAC vorrechnet – ein günstiges Vergnügen ist das nicht.
Lesen Sie auch das Test-Tagebuch zum Volvo EX90 Single Motor
Volvo EX90 Single Motor – Technische Daten:
Fünftüriger, siebensitziger SUV mit Hinterradantrieb; Länge: 5,04 m, Breite: 1,96 m(mit Außenspiegeln 2,11 m), Höhe: 1,74 m, Radstand: 2,99 m. Kofferraum 324 – 2.135 Liter, Gewicht 2.600 kg, Frunk: 49 Liter, Anhängelast (gebremst/ungebremst): 1.200 kg/750 kg, Stützlast: 100 kg, Dachlast: 100 kg.
Permanenterregter Synchronmotor (PSM), Lithium-Ionen-Batterie mit 104 kWh (netto 101 kWh), Leistung 205 kW/279 PS, max. Drehmoment 490 Nm, 1-Gang Automatik, 0-100 km/h: 8,4 s, Vmax: 180 km/h, Verbrauch 19,0 kWh/100km (kombiniert, WLTP), elektrische Reichweite 549 – 624 km (WLTP).
Messwerte: Max. Ladeleistung AC: 11 kW, DC: 184 kW, Ladezeit von 10 auf 80 % SoC: 30 Minuten, Testverbrauch (inkl. Ladeverlusten): 26,1 kWh, Testrunde (100 km): 24 kWh, Reichweite: ca. 350 km.
Preis: 101.630 Euro.

Jede Menge Platz
Sehr komfortabel
Keine nervigen Klingeltöne
Gute Reise-/Ladeplanung
Verlässliche Stauinfos
Angemessener Verbrauch
Verständiger Sprachassistent

Etwas langsame DC-Ladeleistung
Kein 22-kW-AC-Lader
Bisweilen umständliche Bedienung
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