Fahrradmarkt

Fahrradmarkt: Die Lage beruhigt sich

Manche Medien orakelten schon von einer Krise. Doch Branchenexperten geben Entwarnung: Der Fahrradmarkt normalisiert sich.

Nur eingeschränkt waren neue Fahrräder verfügbar, Ersatzteile Mangelware: Um die Corona-Jahre herum frohlockte die deutsche Fahrradindustrie, denn insbesondere die unvermindert hohe Nachfrage nach E-Bikes sorgte für immer neue Umsatzrekorde und ungebrochene Zuversicht in der Zweiradszene. Noch vergangenes Frühjahr titelte „Zeit Online“ mit Blick auf den Langzeit-Höhenflug und auch angesichts einer positiven Stimmung in der Bevölkerung gegenüber diesem Thema: „Deutschland wird Fahrradland“.

Eine Pleite und eine Fast-Pleite

Anfang 2023 jedoch orakelte das gleiche Medium in einem weiteren Artikel über das Ende des Fahrradbooms, eine Meinung, die sich später noch in ähnlichen Artikeln anderer Medien wiederfand. Tatsächlich straucheln derzeit einige Branchengrößen, wie etwa die Insolvenz des deutschen Herstellers Prophete oder Berichte über eine Beinahe-Pleite des holländischen Shooting-Stars VanMoof Anfang 2023 belegen. Die Fahrradbranche sieht sich aktuell zudem mit handfesten Problemen konfrontiert, denn die Lager sind in den vergangenen Monaten vollgelaufen, während das Konsumklima ein Formtief durchläuft.

Fahrradmarkt
Kenner der Fahrradszene sehen kein generelles Ende des Booms. Foto: Flyerbikes

Bei Fahrradherstellern, Zulieferern und Händlern sorgt diese Ausnahmesituation in einigen Fällen sogar für Liquiditätsprobleme. Dennoch sehen Kenner der Fahrradszene kein generelles Ende des Booms, wie sich in einem durch den Pressedienst Fahrrad organisierten Branchen-Gespräch zeigt. Die Experten beschreiben vielmehr eine sich wieder beruhigende Situation im Fahrradmarkt, die mit grundsätzlich erfreulichen Trends aus Sicht der Konsumenten einhergeht. Räder aller Art sind aktuell schnell verfügbar und die Auswahl ist in jeglicher Hinsicht groß. Preisnachlässe und Rabatte sind die Folge.

Die Auswahl ist groß, Rabatte möglich

Laut Reiner Kolberg, Pressesprecher des Zweirad Industrieverbands ZIV, dürfte die noch ausstehende Bilanz für das Fahrradjahr 2022 rückblickend gemischt ausfallen. Zunächst sei man gut gestartet, doch im letzten Quartal 2022 hätte sich aufgrund extrem steigender Lebenshaltungskosten eine starke Zurückhaltung im Konsumverhalten gezeigt, was sich auch auf die Fahrradkäufe auswirkte. Die Formulierung „Ende des Booms“ würde allerdings nicht den Kern der Sache treffen, so Kolberg. Vielmehr betont er die extremen Sondereffekte aufgrund der Corona-Situation der Vorjahre. Mittlerweile sei die Branche jedoch wieder auf dem Weg in eine Normalität. Diese zeigt sich unter anderem an einer wieder weitgehend entspannten Situation der zuvor durch Corona stark gestörten Lieferketten. Unter anderem weil in den Vorjahren aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Teilen, Fahrrädern und E-Bikes viele potenzielle Kunden den Kauf eines neuen Zweirads verschoben haben, hält Kolberg sogar eine Zunahme der Verkäufe in diesem Jahr für realistisch. „Interessierte Kunden finden ein breites Sortiment vor – auch zu guten Preisen“, so Kolberg.

Auf dem Weg in die Normalität

Ähnlich sieht die Situation auch Tobias Hempelmann, Stellvertretender Vorsitzender des Verbands des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) und selbst Fahrradhändler. Auch er prophezeit eine erfolgreiche Fahrradsaison 2023: „Der Handel ist noch im Winterschlaf, aber es zeichnet sich ab, dass die Nachfrage nicht schlechter sein wird als in den letzten Jahren. Wir rechnen mit verkauften Stückzahlen auf einem ähnlichen Niveau wie 2022.“ Bereits jetzt würden sich Kaufinteressierte die Neuheiten in den Läden anschauen und dort auf ein großes Angebot treffen.

Trotz positiver Signale und Prognosen der Verbände zeichnen sich, wie aktuell in vielen anderen Branchen auch, dennoch handfeste Probleme ab. „Es geht weniger um die Nachfrage bei Endverbrauchern, sondern um die Liquidität bei Handel und Herstellern. Die Lager wurden voll, als es im Herbst und Winter weniger Verkäufe gab“, erklärt Ingo Kahnt vom Großhändler RTI Sports, der für die Marke Ergon sowie Lastenräder von Ca Go bekannt ist. Ein großes Herstellersterben oder eine Insolvenzwelle sieht er aber nicht. Vielmehr rechnet auch er mit einer Normalisierung des Marktes in diesem Jahr, spätestens aber 2024.

Probleme zeichnen sich ab

Ähnlich äußerst sich Stefan Stiener, Geschäftsführer des Fahrradherstellers Velotraum: „Meistens handelt es sich im Fahrradbereich um kleine und mittelständische Unternehmen, die solide wirtschaften, nicht dem Super-Hype verfallen und Krisen überstehen. Wer jetzt aus der Kurve fliegt, der hatte schon vorher Probleme.“ Stiener, der als Custom-made-Hersteller mit einem ausgewählten Fachhändlernetz zu den kleineren, aber hochwertigen Fahrradproduzenten am Fahrradmarkt gehört, ärgert sich eher über die Monopolstellung einiger Zulieferer, die noch immer für Lieferprobleme sorgt. Während er bei manchen Partnern ein Überangebot feststellt und bereits erste Preise zu bröckeln anfangen, herrscht bei anderen Teilen noch immer Mangel. „Wir können noch immer Räder nicht ausliefern, weil ein bestimmtes Teil fehlt“, so Stiener. Dennoch überwiegen auch bei ihm die positiven Vorzeichen für die Saison 2023.

„Innovationsschub 2025“

In nächster Zeit könnte sich die Stimmung beim Verbraucher auch auf Aufgrund von Neuheiten und technischen Innovationen im Fahrradmarkt wieder aufhellen. Während die Hersteller in den letzten drei Jahren aufgrund der Lieferproblematik eher auf Bewährtes setzten, um überhaupt Räder in den Markt zu bringen, kommen nun wieder echte Neuheiten. „Es wird spätestens 2025 einen hohen Innovationsschub geben“, vermutet Martin Stenske, verantwortlich für die OEM-Betreuung beim Zulieferer Universal Transmission, bekannt für die Riemenantriebe von Gates. Von einer Marktsättigung, wie sie aufgrund der hohen E‑Bike-Verkäufe bereits vorhergesagt wurde, sei man deshalb weit entfernt. Technische Innovationen und neue Zielgruppen könnten dem Thema Radfahren in den nächsten Jahren weiteren Schwung verleihen. „Leasing hat noch ein enormes Potenzial“, bringt Hempelmann einen weiteren Wachstumsmarkt ins Spiel. Cargobikes seien ein zusätzliches neues Feld – sowohl für Unternehmen als auch für Familien.

Fazit: Wenn auch manche Hersteller vor Problemen stehen, für Kaufinteressierte hat sich der Fahrradmarkt ins Positive gedreht. Mangelnde Verfügbarkeit, sehr lange Lieferzeiten und weiter explodierende Preise wird es 2023 nicht geben. SP-X/Titelfoto: Vaude

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