Fernsehen auf dem Freeway ist nicht nur möglich, sondern ganz legal. Fotos: Mercedes-Benz

Fernsehen auf dem Freeway

In Kalifornien zeigt Mercedes, was sein System zum hochautomatisierten Fahren besonders macht. Spielen, fernsehen oder Internetsurfen hinterm Steuer.  Und bald mehr.

Mercedes darf nun auch in den USA hochautomatisiert fahren. Spielen, Fernsehschauen oder Internetsurfen ist nun in bestimmten Situationen auch hinter dem Steuer möglich. In der Limousine EQS ist die neueste Generation vom sogenannten Drive Pilot der Schwaben eingebaut; die hat nun auch von den Behörden im bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA die Zertifizierung für hochautomatisiertes Fahren nach dem Level 3 erhalten. Nur Mercedes hat bisher hier und in Nevada wie schon in Deutschland die Erlaubnis, ein solches System auf die Straße zu bringen. Wer gleiches im Tesla versucht, darf sich nicht aufs Auto verlassen. Denn in den E-Mobilen der Kalifornier bleibt der Mensch immer selbst verantwortlich.

Die türkise Farbe signalisiert innen und außen, dass der Mercedes vollautonom unterwegs ist Fotos: Mercedes-Benz
Die türkise Farbe signalisiert innen und außen, dass der Mercedes vollautonom unterwegs ist
Fotos: Mercedes-Benz
Die türkise Farbe signalisiert innen und außen, dass der Mercedes vollautonom unterwegs ist Fotos: Mercedes-Benz
Außen findet sich das Türkis an den Rückleuchten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Mercedes ist das grundlegend anders. Denn während der Tesla-Fahrer bei der Fahrt auf dem sogenannte Autonomie-Level 2 nichts darf außer den Verkehr zu beobachten, kann er im Level-3-Mercedes einen Film streamen, an Videokonferenzen teilnehmen oder Spiele auf dem Touchscreen zocken. Alles erlaubt – denn der Hersteller übernimmt die Verantwortung.

„Dafür haben wir viel Überzeugungsarbeit leisten müssen“, sagt Markus Schäfer, Chief Technology Officer der Mercedes-Benz AG. Denn die Behörden hätten zwar „Tausende Seiten technischer Beschreibungen“ interessiert zur Kenntnis genommen. Doch erst reale Fahrten über die oft holprigen Freeways im Sonnenstaat mit ihren verblassten Straßenmarkierungen, Baustellen, vorbei an breiten Trucks, schmalen Motorrädern und lauten Feuerwehren im Einsatz zeigen, dass die Sicherheits-Versprechen im Selbstfahrer auch gehalten werden. Selbst, wenn die Menschen im Auto anderweitig abgelenkt sind.

Die türkise Farbe signalisiert innen und außen, dass der Mercedes vollautonom unterwegs ist

Praktisch funktioniert die Übergabe an den Computer-Piloten im Verkehrsgewusel von Los Angeles ganz einfach: Das Tempo wird im typisch stockenden Verkehr niedriger als 60 Stundenkilometer. Jetzt blinken links im Lenkrad zwei Tasten weiß. Ein Druck – und nach kurzem Flimmern leuchtet das Element türkis auf. Im zentralen Bildschirm prangt nun ein „A“ für autonom. Die Verantwortung für die sichere Fahrt liegt nun bis auf Weiteres bei Mercedes. Im wörtlichen Sinn: Denn im Fall eines Unfalls würde statt des Besitzers die Versicherung des Herstellers haften.

Zu diesem Zweck arbeitet der Hochleistungsrechner im Kofferraum auf Hochtouren, um die Massen an Informationen zu verdauen und in Fahrbefehle umzusetzen. Ein Lidar im Kühlergrill, die auf einen Zentimeter genaue GPS-Erfassung auf dem Dach, eine Stereokamera in der Frontscheibe, eine weitere im Heck nebst Mikrofonen, damit die Highway-Patrol unter Blaulicht und Sirene rechtzeitig erkannt wird; vier Kameras in den Spiegeln, sechs Radar- und doppelt so viele Ultraschallsensoren rundum, Nässesensoren im Radkasten … kein Wunder, warum der Drive-Pilot in Deutschland rund 7.000 Euro Aufpreis kostet. In den USA übrigens sind es nur 2.500 – allerdings pro Jahr. Dort lässt sich das System nämlich per Knopfdruck in der Mercedes-App mieten.

Für das Geld gestattet Mercedes allerdings längst nicht alles, was dem arbeitslosen Autolenker so einfallen könnte. Hat der Drive-Pilot so seine Zweifel, ob der Mensch fit für die Fahraufgabe wäre, blinkt und piepst es zunächst einmal leidlich dezent, dann vehementer, schließlich ruckelt es am Gurt – und final bringt das System solche Fahrzeuge unter Warnblinken zum Stand. Schließlich könnte der Mensch im Auto ja in den Tiefschlaf gesunken sein oder gar einen Infarkt erlitten haben.

Die Vorsicht der Assistenz-Pioniere hat auch etwas mit der angestrebten Überzeugungsarbeit zu tun. Niemand möchte schließlich der erste Hersteller sein, der beim autonomen Fahren in einen Unfall verwickelt ist. Im ersten Jahr auf deutschen Straßen habe es auch noch keinen gegeben, ist Schäfer stolz.

Dass es Crashs aber auch trotz immer höherer Autonomiegraden geben wird, ist unvermeidlich. Im Straßenverkehr hat schließlich nicht jeder Teilnehmer Dutzende Techno-Assistenten, Rechner und Ersatz-Systeme für Bordnetz, Bremsen und Lenkung, falls die standardmäßigen ausfallen. Dass Drive-Pilot dann die Schuld trägt, ist indes eher unwahrscheinlich. Risikobereitschaft hat der Rechner schließlich nicht einprogrammiert.    Peter Weißenberg/SP-X

 

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