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„Wir stehen unmittelbar vor dem Beginn tiefgreifender Umwälzungen“

Michael Schramek über die derzeitige Mobilitätsdiskussion, das Netzwerk NiMo und wie er die Zukunft der IAA einschätzt.

Auch wenn die Diskussion um den Wandel in der Mobilität derzeit überall aufflackert, so sollte man nicht vergessen, dass es bereits seit vielen Jahren Organisationen und Netzwerke gibt, die diese führen. Eines davon ist das Netzwerk intelligente Mobilität e.V. (NiMo).
Wir haben Michael Schramek, langjähriger Vorsitzender des NiMo e.V. und geschäftsführender Gesellschafter von Regio.Mobil Deutschland, befragt, wie er die Diskussion verfolgt und was NiMo leistet.

Puls: Herr Schramek, was ist der Grundgedanke hinter NiMo? Was sind die Ziele?

Schramek: Das Netzwerk intelligente Mobilität e.V. (www.nimo.eu) besteht überwiegend aus unterschiedlichsten Anbietern im gesamten Spektrum der Mobilität, aber auch aus Betrieben, die einfach nur intelligent mobil sein wollen. Im interdisziplinären Diskurs mit den Mitgliedern, aber auch mit externen Teilnehmern unserer Veranstaltungen, wollen wir die Entwicklungen und die Zukunft der Mobilität besser verstehen und auch ein klein wenig mitgestalten. Mobilität wird sich in den nächsten 5 bis10 Jahren stärker verändern als in den letzten 70 Jahren nach dem 2. Weltkrieg. Das Wissen um die Veränderungen, aber auch die Möglichkeit der Kooperation mit anderen zukunftsorientierten Partnern aus dem Markt ist für alle Mitglieder von strategischer Bedeutung. Die Mitglieder, die nicht selbst als Anbieter im Markt tätig sind, profitieren ebenfalls von diesem Austausch, weil sie die passenden Produkte und Konzepte für das eigene Unternehmen finden.

„Der private Pkw, der über 70 Jahre ein Erfolgsmodell war, führt sich selbst ad absurdum“

Wie hat sich das Netzwerk seit der Gründung entwickelt?

NiMo ist stetig gewachsen, aus anfänglich 7 Gründungsmitgliedern wurden bis heute knapp 100. Von Jahr zu Jahr konnten wir mehr Veranstaltungen durchführen, mehr Menschen für die intelligente Mobilität begeistern.

Welche Aktivitäten entfaltet das Netzwerk?

Das Netzwerk wirkt vor allem über interdisziplinäre Veranstaltungen, die stets offen sind für Mitglieder und Nicht-Mitglieder. Meist geht es darum, dass wir dabei gemeinsam und voneinander lernen wollen. Manche Veranstaltungen richten sich gezielt an Nicht-Mitglieder, in denen wir diesen unsere Konzepte für eine nachhaltige und intelligente Mobilität vorstellen.
Wir sind kein Lobbyverband wie andere Spartenverbände. Es geht also nicht darum, einzelne Verkehrsträger oder Unternehmensinteressen zu stärken.

Mobilität ist derzeit in aller Munde. In wie fern wirkt sich das auf das Netzwerk aus?

Viele unserer Mitglieder sind mit ihren Produkten und Dienstleistungen stärker gefragt als jemals zuvor. Das wirkt sich in zweierlei Weise auf das Netzwerk aus: Der Austausch untereinander wird immer wichtiger, weil viele der komplexen Anforderungen des Marktes kaum einer alleine, sondern nur in Zusammenarbeit mit Partnern realisieren kann. Und das Interesse „normaler“ Unternehmen und Behörden, die einfach nur intelligent mobil sein wollen, wächst. Gerade aus dem kommunalen Bereich, wo sowohl die eigene betriebliche Mobilität als auch die Gestaltung der Mobilität in der Stadt zu den Aufgaben gehören, verzeichnen wir besonders wachsendes Interesse.

„Die Unternehmen sollten sich frühzeitig auf die Veränderungen sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite einstellen“

Wie beurteilen Sie die derzeitige Mobilitätsdiskussion?

Die aktuelle Diskussion ist zu stark von Technologiefragestellungen geprägt. Es geht nicht allein darum, alle heutigen Verbrenner-Pkw auf Batterieelektrik oder Wasserstoff umzustellen. Vielmehr wird eine Verkehrswende benötigt, mit der wir am Ende weniger Emissionen, weniger Verkehr und mehr Nutzung nachhaltigerer Verkehrsmittel erreichen. Das Klima-Paket der Bundesregierung hätte eine Chance darstellen können, in die richtige Richtung zu lenken. Doch mit einer Verteuerung von Benzin und Diesel um zunächst 3, in 5 Jahren um 12 Cent pro Liter wird niemand sein Kauf- oder Fahrverhalten verändern. Die gleichzeitige Anhebung der Pendlerpauschale führt beispielsweise bei einer einfachen Entfernung Wohnung-Arbeitsstätte von 50 km dazu, dass die Spritkosten in 2021 die Steuerrückzahlung um 140 € steigen, die Spritkosten aber nur um 40 €. Erst in 2025 neutralisiert die Preissteigerung die Steuerersparnis.
Überhaupt werden sich die Käufer größerer Fahrzeuge kaum von monetären Anreizen im 3-stelligen Bereich beeindrucken lassen, diese spielen in Relation zu den Kosten eines größeren Pkw keine signifikante Rolle.

Wie hat sich Mobilität in Ihren Augen verändert?

Durch die immer noch anhaltende Urbanisierung verdichten sich die Städte immer weiter, der Raum für ruhenden Verkehr nimmt durch die Nachverdichtung der Bebauung immer weiter ab. Der Fahrzeugbesitz hat in den letzten 10 Jahren um 10% zugenommen, so dass die Verkehrsbelastung bei schrumpfendem Raum immer weiter zunimmt. Der private Pkw, der über 70 Jahre ein Erfolgsmodell war, führt sich damit selbst ad absurdum.
Aktuell stehen wir unmittelbar vor dem Beginn tiefgreifender Umwälzungen, von denen zwar schon viel gesprochen wird, die aber für die meisten Menschen noch nicht sichtbar sind. Die Städte beginnen damit, den Autoverkehr zurückzudrängen und Platz zu schaffen für umwelt- und menschenfreundliche Mobilität zu Fuß und mit dem Zweirad. Die Hersteller bringen emissionsfreie Fahrzeuge in den Massenmarkt, und unterschiedlichste Akteure bieten neue Mobilitätsangebote an, die den Besitz eines eigenen Pkw für viele unattraktiv machen werden, in der Stadt und etwas zeitverzögert auch auf dem Land.

„Die größten Fahrzeuge waren auf der IAA gar nicht zu sehen. Die Hersteller haben sie quasi selbst in die Schmuddelecke gestellt, und damit sich selbst“

Was halten Sie von Messen wie der IAA? Hat sie sich überlebt?

Ja, das hat die diesjährige IAA klar gezeigt. Nur noch halb so groß wie früher, weil die meisten Hersteller sie entweder komplett gemieden oder ihre Standflächen zumindest deutlich verkleinert haben.
Besonders kennzeichnend empfand ich bei meinem Besuch auf der Messe, dass die größten Fahrzeuge gar nicht zu sehen waren. Die Hersteller haben sie quasi selbst in die Schmuddelecke gestellt, und damit sich selbst.
Spätestens dann, wenn durch autonomes Fahren und neue Geschäftsmodelle das Auto kaum noch gekauft, sondern vor allem bedarfsweise genutzt wird, verliert die Messe an Bedeutung, sowohl für Hersteller als auch für die Kunden.

Was raten Sie Unternehmen, wenn es um das Thema Dienstwagen/Mobilität für Mitarbeiter geht?

Die Unternehmen sollten sich frühzeitig auf die Veränderungen sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite einstellen. Gerade im Wettbewerb um die zahlenmäßig kleine Gruppe junger Nachwuchskräfte sind neue Konzepte gefragt, weil der Dienstwagen seine Zugkraft hat. Bei den jungen Leuten in den Städten ist ja nicht einmal mehr der Pkw-Führerschein selbstverständlich. In meiner Firma statten wir beispielsweise immer öfter selbst Praktikanten mit einer dreimonatigen Bahncard 100 aus. Damit sind sie im Praktikum voll flexibel einsetzbar und gleichzeitig profitieren sie von umfassender privater Mobilität in der Freizeit.

Sie haben nun ein Unternehmen namens Regio.Mobil gegründet. Welche Idee steckt dahinter?

Regio.Mobil ist ein auf den ländlichen Raum und die Stadt-Umland-Beziehung spezialisierter Sharing-Anbieter. Wir sind bewusst in den Regionen aktiv, in denen der ÖPNV keine Option für den täglichen Arbeitsweg oder andere regelmäßige Wege darstellt. Die städtischen Konzepte sowohl des rein stationsbasierten als auch des Freefloating-CarSharings funktionieren hier nicht, weil sie entweder den Kunden nicht den Nutzen bieten, die sie brauchen, um auf das eigene Fahrzeug zu verzichten, oder weil es für den Anbieter nicht wirtschaftlich darstellbar ist. Deshalb bauen wir Car- und (Lasten-)PedelecSharing so auf, dass das Angebot sowohl für regelmäßige Fahrten zur Arbeit etc. als auch für Freizeit- und andere Bedarfsfahrten attraktiv ist. Dabei arbeiten wir eng mit den Landkreisen und Kommunen, aber auch den Energieversorgern bzw. Netzbetreibern und den Unternehmen zusammen.
Unternehmen bieten wir gleich mehrere Nutzen: Die Mitarbeiter kommen besser und günstiger zur Arbeit, die dienstliche Mobilität wird durch eine höhere Auslastung der Fahrzeuge günstiger und umweltfreundlicher.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: EcoLibro

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