Am 1.1.2020 tritt die 95-Gramm-Grenze in Kraft und es drohen Strafsteuern. Was bedeutet das? Welche Auswirkungen wird sie haben? Und was folgt in den kommenden Jahren?
Jetzt wird es ernst für die Autohersteller. In Europa gelten ab 1. Januar die neuen CO2-Grenzwerte für Pkw von 95 Gramm CO2 je Kilometer. Sie dürften einen massiven Einfluss auf Angebot und Nachfrage nehmen und somit auch die Verbraucher betreffen. Doch was verbirgt sich hinter der 95-Gramm-Grenze? Und wie geht es weiter? Eine Übersicht.
Wo liegt der Grenzwert?
Bislang durfte der Durchschnittsneuwagen in der EU 130 Gramm pro Kilometer ausstoßen. Ab dem kommenden Jahr sind es nur noch 95 Gramm. Das entspricht 4,1 Litern Benzin oder 3,6 Litern Diesel. Streng genommen sind die 95 Gramm kein „Grenzwert“, sondern ein „Zielwert“. Auch im kommenden Jahr dürfen Autos mit höherem CO2-Ausstoß verkauft werden, die Hersteller müssen diesen dann aber durch Fahrzeuge mit niedrigeren Werten ausgleichen, sonst drohen Strafsteuern.
Gilt für alle Hersteller der gleiche Wert?
Nein. Für jeden Hersteller gibt es einen individuellen Zielwert, der sich vor allem am durchschnittlichen Gewicht der von ihm verkauften Fahrzeuge orientiert. Wer schwere Autos baut wie die meisten deutschen Marken, darf im Schnitt mehr als 95 Gramm ausstoßen. Wer kleine und leichte Autos baut, muss möglicherweise sogar noch niedrigere Werte erreichen. Grundlage für die Errechnung aller Emissionswerte ist übrigens der von den Herstellern angegebene Normverbrauch.
Wie genau berechnet sich der individuelle Herstellerwert?
Grundlage ist das durchschnittliche Gewicht der in einem Jahr verkauften Neuwagen eines Herstellers. Von diesem wird das Durchschnittsgewicht aller Neuwagen aus einem bestimmten Bezugszeitraum (zunächst sind das die Jahre 2016 bis 2018) abgezogen; aktuell liegt dieser Wert bei 1.379,88 Kilogramm. Das Ergebnis dieser Subtraktion wird mit einem Reduktionsfaktor multipliziert (derzeit 0,033) und dann zum Grammwert 95 addiert. Oder eben subtrahiert. Dann nämlich, wenn ein Hersteller 2020 besonders leichte Autos verkauft hat, so dass das Ergebnis der Subtraktion der Fahrzeuggewichte negativ ausfällt. Ausgeschrieben lautet die Berechnungsformel so: Zielwert = 95 + a x (Durchschnittsgewicht aller Neuwagen – Durchschnittsgewicht der Neuwagen eines Herstellers). Die Formel wird über die Jahre angepasst, so gelten ab 2022 beispielsweise das Durchschnittsgewicht der Pkw-Neuzulassungen zwischen 2017 und 2019. Auch der Reduktionsfaktor kann an den technischen Fortschritt angepasst werden.
Gibt es Übergangsregeln?
Bei den vergangenen Grenzwert-Verschärfungen gab es häufig recht großzügige Schonfristen. Diesmal ist das etwas anders: Der Zielwert gilt 2020 zunächst für 95 Prozent aller Neuwagen, bereits 2021 werden jedoch 100 Prozent berücksichtigt. Beim 130-Gramm-Zielwert Anfang der 10er-Jahre gab es noch ein vierjähriges „Phasing-in“ in den Stufen 65, 75, 80 und 100 Prozent.
Wie hoch fallen die Strafen aus?
Hersteller, die die Zielwerte nicht erreichen, müssen Strafen zahlen. Einzelne Autofahrer werden nicht zur Kasse gebeten, könnten jedoch mittelfristig unter einer Umlegung der Kosten leiden. Die Höhe der Strafe beträgt 95 Euro pro Auto und Gramm Überschreitung. Die von der 130-Gramm-Grenze bekannte gestaffelte Höhe gibt es diesmal nicht. Das führt relativ schnell zu relativ hohen Strafen, die bei vielen Herstellern Milliardenhöhen erreichen könnten – jedes Jahr.
Mit welchen Mitteln können die Hersteller Strafen verhindern?
Wer Fahrzeuge verkauft, die als besonders umweltfreundlich gelten, erhält Gutschriften auf sein CO2-Konto. Autos mit einem Kohlendioxid-Ausstoß unter 50 Gramm – in der Regel E-Mobile oder Plug-in-Hybride – werden 2020 doppelt in der Bilanz berücksichtigt. 2021 sinkt der Faktor dieser sogenannten „Super Credits“ auf 1,67, 2022 auf 1,33. Ab 2023 gibt es keine Extra-Bonus für den Verkauf elektrifizierter Fahrzeuge mehr. Zudem gilt eine Obergrenze für die CO2-Gutschrift pro Hersteller von 7,5 Gramm CO2, und zwar für den Zeitraum 2020 bis 2022.
Gibt es noch weitere Erleichterungen?
Ja. Die Hersteller können beispielsweise für den Einbau bestimmter Technologien bei der EU weitere Emissionskredite beantragen. Damit soll die verbrauchsmindernde Wirkung bestimmter Extras gewürdigt werden, die keinen Einfluss auf die Prüfstandswerte haben, etwa von LED-Licht. Die Gutschrift darf maximal 7 Gramm betragen, die Wirksamkeit der Technik ist nachzuweisen und wird unabhängig überprüft. Darüber hinaus können sich einzelne Hersteller untereinander zusammenschließen und sogenannte „Emissions-Gemeinschaften“ bilden. Der Zielwert gilt dann für die Flotte aller beteiligten Unternehmen. Wer beispielsweise einen Pool mit einem E-Auto-Hersteller bildet, kann die Emissionsanforderungen an seine eigenen Fahrzeuge somit massiv senken. Nicht zuletzt gibt es Sonderregelungen für Kleinhersteller mit 10.000 bis 300.000 Neuwagen pro Jahr – sie dürfen einen eigenen Zielwert beantragen.
Was sagen die Hersteller?
Der Branchenverband VDA findet zwar richtig, dass Europa ambitionierte Klimaziele verfolgt. Allerdings werde die europäische Automobilindustrie durch die Grenzwerte im internationalen Vergleich stärker belastet als ihre Wettbewerber. Denn das von der EU gesetzte CO2-Ziel für Pkw von 95 Gramm sei das schärfste weltweit. Tatsächlich liegen zumindest die Emissionsziele in den anderen großen Märkten höher: In den USA sind bis 2020 121 Gramm CO2 je Kilometer vorgeschrieben, in China 117 Gramm, in Japan 105 Gramm. Darüber hinaus kritisiert der Verband, dass Reduzierungspotenziale außerhalb der Fahrzeugtechnik nicht genutzt würden – etwa in Form von Bio-Kraftstoffen und E-Fuels.
Was sagen Umweltverbände?
Anspruchsvolle CO2-Grenzwerte sind in den Augen des ökologisch orientierten Verkehrsclubs VCD für das Klima, die Wirtschaft und die Verbraucher unverzichtbar. Die deutsche Autoindustrie habe das Wissen, viele fähige Ingenieure und gut ausgebildete Facharbeiter, die in der Lage seien, die effizienteste Technik zu entwickeln und zu produzieren. Mit zukunftsfähigen und zuverlässigen Produkten bleibe die Autoindustrie Jobmotor und trage ihren Teil dazu bei, dass die Klimaziele der internationalen Staatengemeinschaft erreicht werden können.
Was bedeuten die CO2-Grenzen für den Kunden?
Die Hersteller müssen ab 2020 ihren Neuwagenabsatz mit Blick auf ihre CO2-Ziele steuern. Viele Marken dürften versuchen, massiv E- Autos und Plug-in-Hybride in den Markt zu drücken, um Strafzahlungen zu entgehen. Notfalls auch mit hohen Rabatten. Dabei werden sie auch das Margensystem des Handels als Hebel nutzen, was die Verkaufsstrategie der Autohäuser hin zu E-Autos und tendenziell weg von verbrauchsstarken Modellen verschieben dürfte. Auch das Rabattmodell der Händler wird sich dem anpassen. Unterm Strich könnten Neuwagenkäufer davon profitieren, wenn sie ein sparsames Modell kaufen. Umgekehrt dürften durstige Autos sie teurer kommen.
Was kommt nach den 95 Gramm?
Die bisherigen Emissionsreduzierungen sollen in der Zukunft weitergeführt werden. Festgelegt ist eine weitere Minderung um 15 Prozent bis 2025, bis 2030 soll der Ausstoß um 37,5 Prozent sinken. Jeweils im Vergleich zu den heute noch nicht feststehenden Werten von 2021. Die Werte dürften jedoch im Bereich von 80,75 Gramm beziehungsweise 61,75 Gramm liegen. HM/SP-X
Add a Comment